Samstag, 30. Juni 2007

Ein rätselhafter See: Loch Ness



Leseprobe aus "Nessie. Das Monsterbuch" von Ernst Probst

Das Gewässer, in dem das mysteriöse Seeungeheuer „Nessie“ immer wieder gesichtet wird, ist der schottische Hochlandsee Loch Ness. In der keltisch-englischen Sprache bezeichnet man Binnenseen als Loch, in Schottland auch tief in das Land einschneidende Meeresarme, die langgestreckten Fjorde (Firth genannt).
Loch Ness ist eines von rund 30000 Lochs in Schottland. Die größten Seen des Landes sind Loch Lomond (71 Quadratkilometer), Loch Ness (56 Quadratkilometer) und Loch Awa (39 Quadratkilometer), das mit 41 Kilometern das längste Loch ist. Schottland besitzt mit seinen von eiszeitlichen Gletschern geschaffenen Lochs einige der tiefsten Inlandgewässer der Welt: Loch Morar beispielsweise misst 372 Meter Tiefe.
Den Forschern gibt Loch Ness noch Rätsel auf. Bis heute weiß man beispielsweise nicht, wie tief dieser 36 Kilometer lange und 1,5 Kilometer breite See ist. Maximal 230 Meter, wie bisher gemessen, oder sogar bis zu 1000 Meter? Und lebt in seinen Tiefen tatsächlich eine unbekannte Tierart? Oder sogar ein prähistorisches Monster?
Loch Ness gehört zum Great Glen (auch Glen More genannt), einem langen und tiefen Graben, der bereits in der Devonzeit vor etwa 400 Millionen Jahren durch gigantische Verschiebungen der Erdkruste aufbrach. Seitdem trennt der etwa 95 Kilometer lange Great Glen den Nordwesten Schottlands (die Northwest Highlands) vom Nordosten (die Northeast Highlands) und dem übrigen Land.
Im Talzug des Great Glen – der „Großen Schlucht“ – reihen sich vier längliche Seen aneinander: Loch Ness, Loch Oich, Loch Lochy und Loch Linnhe (von Nordosten nach Südwesten). Davon ist Loch Ness das bekannteste Gewässer. Der See gilt als eines der größten Süßwasserreservoire in ganz Großbritannien.
Loch Ness ist ein Teil des 95 Kilometer langen Schifffahrtsweges „Kaledonischer Kanal“ („Caledonian Canal“). Er verbindet zwischen dem Firth of Lorne im Südwesten und dem Moray Firth im Nordosten den Atlantischen Ozean mit der Nordsee. Der Kanal erspart Schiffen den langen Weg um die Highlands im Norden und schafft eine wesentlich günstigere Verbindung zwischen den irischen Häfen und den Häfen im Osten Schottlands wie Aberdeen und Dundee.
Der „Kaledonische Kanal“ wurde 1822 nach 19-jähriger Bauzeit eröffnet. Für seinen Bau war der schottische Ingenieur Thomas Telford (1757–1834) verantwortlich. Dieses Projekt gab vielen Menschen Arbeit und Brot. Durch den „Kaledonischen Kanal“ und den Fluss Ness ist Loch Ness mit der Nordsee verbunden. Der Kanal und der Fluss dienen Meerestieren als Wanderwege in den See.
Loch Ness liegt auf einer Linie, die angeblich für erhöhte Erdbebenhäufigkeit bekannt ist. In Fort Augustus war am 22. Dezember 1755 das verheerende Erdbeben, bei dem zwei Drittel der portugiesischen Hauptstadt Lissabon zerstört wurden, stark spürbar: Das Wasser des Loch Ness stieg mehr als 1 Meter, überschwemmte den Ort und flutete angeblich 1 Stunde lang vor- und rückwärts.
Erdbeben wurden auch 1816, 1888, 1890 und 1901 im Gebiet des Loch Ness registriert. Das Beben von 1816 war in ganz Schottland spürbar. Beim Erdbeben von 1901 mit der Stärke 5 erlitt die Bank des „Kaledonischen Kanals“ bei Dochgarroch Gebäudeschäden. Die Epizentren der Erdstöße liegen meistens bei Lochend und Dochgarroch.
Im Eiszeitalter (Pleistozän) vor etwa 20000 Jahren lastete bis zu 1700 Meter mächtiges Eis auf Teilen von Schottland. Gegen Ende des Eiszeitalters vor etwa 12000 Jahren war Loch Ness vermutlich noch eine Meeresbucht. Doch als sich das vom Gletschereis befreite Land bei Inverness hob, wurde der Zugang zum Meer abgeschnitten.
Ablagerungen des Flusses Foyers teilen Loch Ness etwa in der Mitte in zwei tiefe Becken. Jedes Jahr wachsen die Ablagerungen auf dem Grund durchschnittlich um etwa 1 Millimeter an. Eine der tiefsten Stellen des Sees befindet sich südwestlich der Burg „Urquhart Castle“.
In der Bronzezeit vor etwa 4000 Jahren entstand die einzige Insel im Loch Ness. Sie wird „Cherry Island“ genannt. Vor „Urquhart Castle“ hat man ein ausgedehntes System von Unterwasserhöhlen ausgelotet, in denen sich mehrere unbekannte Tiere gut verstecken könnten.
Die Temperatur des Wassers vom Loch Ness erreicht selbst in heißesten Sommern selten mehr als sechs oder sieben Grad Celsius. Im Winter ist das Wasser des Lochs wärmer als die Luft und friert nie zu. In Schottland sind die Sommer verhältnismäßig kühl und die Winter mild.
Obwohl Loch Ness auch in der warmen Jahreszeit kaum zum Baden einlädt, haben einige wagemutige Schwimmer den 36 Kilometer langen See durchquert. Rekordhalter ist David Morgan: Er schaffte die einfache Strecke in 10 Stunden und 59 Minuten und die doppelte in 23 Stunden und 50 Minuten.
Tödlich endete am 29. September 1952 der Versuch von John Cobb, im Loch Ness mit einem Motorboot den damaligen Geschwindigkeitsweltrekord auf dem Wasser zu brechen. Spötter meinten, er sei bei seiner zweiten Fahrt auf dem See mit dem Monster zusammengetroffen. Doch in Wirklichkeit war die bei seiner ersten Fahrt erzeugte Welle die Unglücksursache gewesen.
Der schottische Hochlandsee hat noch nie die Leiche eines ertrunkenen Menschen oder Tieres wieder freigegeben. Deshalb ist es kein Wunder, dass von dem Seeungeheuer „Nessie“ bisher kein Skelett, kein Kadaver, kein Ei und kein Koprolith (Kot) entdeckt wurde.
In den Wäldern um Loch Ness wachsen Eichen, Eschen, Ebereschen, Haselnuss und Kiefern. Die meisten Eichen wurden im frühen 19. Jahrhundert für den Bau des erwähnten „Kaledonischen Kanals“ gefällt.
Zur Tierwelt im Loch Ness zählen Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. Über die dort vorkommenden Tierarten informiert umfassend die sehr interessante Internetseite des „Nessie“-Forschers Anthony („Tony“) Harmsworth aus Drumnadrochit.
Loch Ness gilt als einer der fischreichsten Seen Großbritanniens. Dort schwimmen unter anderem Lachse, Aale, Elritzen, Forellen, Hechte und Stichlinge. Diese Tiere böten – falls vorhanden – einer Gruppe von Seeungeheuern reichlich Nahrung.
Wie Loch Oich und Loch Lochy dient Loch Ness aus dem Meer eingewanderten „Atlantischen Lachsen“ (Salmo salar) im Herbst als Laichgrund. Nach zwei Jahren wechseln die bis zu 20 Zentimeter langen Jungfische ins Meer, wo sie rasch wachsen und nach weiteren zwei Jahren bereits 3,5 bis 17, 5 Kilogramm wiegen.
Ins Loch Ness wandern auch „Arktische Lachse“ (Salvelinus alpinus) ein. Diese nördlich des Polarkreises vorkommenden Lachse heißen „Arctic Charr“, Seesaibling, Tiefseesaibling oder Wandersaibling. In Europa kommt diese Fischart in kalten, tiefen und nährstoffreichen Seen vor. 1982 wurden im Loch Ness in etwa 220 Meter Tiefe drei „Arctic Charr“ gefangen – ein Tiefenrekord in britischen Süßwasserseen.
Die schlangenförmigen und räuberisch lebenden Aale (Anguilla anguilla) kommen im Loch Ness häufig vor. Zum Laichen wandern sie ohne Nahrungsaufnahme zur tausende von Kilometern entfernten Sargossasee im Atlantik, wo sie nach Eiablage und Besamung absterben. Die Larven gelangen mit dem Golfstrom nach etwa 3 Jahren an die europäischen Küsten und wandern flussabwärts.
Elritzen (Phoxinus phoxinus) halten sich meistens in ufernahen Bereichen des Loch Ness zwischen Wasserpflanzen auf. Die in Schwärmen auftretenden Elritzen werden zu den Karpfenfischen gerechnet, sind überwiegend etwa 7 bis 12 Zentimeter lang, fressen vor allem Kleinkrebse und gelten als Anzeiger für sauberes Wasser.
Forellen (Salmo trutta) existieren in großer Zahl im Loch Ness. Im Jahr 2000 gelang dort der Rekordfang einer 7,5 Kilogramm schweren Forelle. Bei Suchaktionen nach „Nessie“ erzeugten Forellen oft Sonarkontakte.
Hechte (Esox lucius) sind im Loch Ness eher selten anzutreffen. Diese Raubfische mit walzenförmigem Körper und entenschnabelförmiger Schnauze am Maul erreichen eine
beachtliche Länge bis zu etwa 1,50 Metern. Sie besitzen eine große Schwimmblase und können beim Schallortungsverfahren starke Sonarkontakte erzeugen.
Dreistachlige Stichlinge (Gasterosteus aculeatus) treten im Loch Ness zahlreich auf. Dabei handelt es sich meistens um bis zu 8 Zentimeter lange, gedrungene und seitlich gepanzerte Raubfische mit aufrichtbaren Knochenstacheln vor der Rückenflosse. Sie sind als Laich- und Bruträuber gefürchtet.
Auch Barsche, Karpfen, Plötzen und Weißfische sind aus dem Loch Ness bekannt.
Zu den im Loch Ness vorkommenden Amphibien zählen Frösche, Kröten und Wassermolche. Am größten unter ihnen werden die Kröten, die eine Länge bis zu 12,5 Zentimetern erreichen. Die Wassermolche bringen es maximal auf 7,5 Zentimeter und die Frösche auf 10 Zentimeter.
Reptilien sind am Loch Ness durch Eidechsen, Blindschleichen und Schlangen vertreten. Eidechsen halten sich auf den Felsen am Seeufer auf. Blindschleichen trifft man sehr selten an. Auch die giftigen Schlangen werden nur an Land gesichtet.
Zur Vogelwelt im Loch Ness gehören Enten, Kormorane und Reiher. Enten oder die von ihnen im See erzeugten Wellen sind aus großer Distanz schon oft für „Nessie“ gehalten worden. Auch die langhalsigen Kormorane werden aus der Entfernung gelegentlich als „Monster“ verkannt. Reiher kommen am Loch Ness oft vor.
Die am häufigsten im Loch Ness beobachteten Säugetiere sind Hirsche. Auf etlichen Fotos des „Loch Ness Projects“ sind im See schwimmende Hirsche oder Rehe erkennbar. Otter dagegen werden dort selten gesehen und vermutlich zuweilen als „Nessie“ fehlgedeutet.
Ab Mitte der 1980-er Jahre wurden öfter Seehunde (Phoca vitulina) im Loch Ness gesichtet. Diese Robben folgten offenbar Lachsen den Fluss Ness hinauf in den See und verbrachten dort einige Monate im Süßwasser.
Im Schlamm auf dem Grund des Loch Ness leben unter anderem winzige Würmer, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind. Dies fanden Wissenschaftler des Londoner „British Museum of Natural History“ 1993 heraus. Sie identifizierten insgesamt 27 Arten solcher Würmer, darunter waren auch einige bis dahin unbekannte Spezies.
Ins Loch Ness münden sieben Flüsse (Oich, Tarff, Enrich, Coiltie, Moriston, Foyers, Farigaig), 60 große Bäche und mehrere hundert kleiner Rinnsale. Nur der etwa 8 Kilometer lange Fluss Ness dient als Abfluss des Sees: Er strömt durch Inverness und mündet in den Moray Firth, der rund 17 Meter tiefer liegt als Loch Ness.
Flüsse und Bäche schwemmen aus Mooren und Heiden unzählige Torfpartikel ins Loch Ness, die dem Wasser die Farbe kräftiger Fleischbrühe verleihen. Taucher können bereits in 2 Metern Tiefe kaum noch ihre eigene Hand vor Augen erkennen. Aus diesem Grund ist „Nessie“ auf Fotos von Unterwasserkameras schlecht zu sehen.
Durch langanhaltende und starke Regenfälle kann der Wasserspiegel des Loch Ness um mehr als 2 Meter ansteigen. Bereits bei normalen Regenfällen schwillt der Wasserspiegel des Sees häufig über einen halben Meter an. Schon ein viertelstündiger Regen fügt dem Loch bis zu 10000000 Tonnen Wasser hinzu.
Am Loch Ness liegen die Orte Dochgarroch, die Burg Aldourie Castle, Dores, Inverfarigaig, Foyers, Fort Augustus, Invermoriston, die Burg „Urquhart Castle“, Drumnadrochit, Temple Pier, Abriachan und Lochend. Einige dieser Lokalitäten machten bei Sichtungen von „Nessie“ immer wieder Schlagzeilen.
In Drumnadrochit informieren zwei Ausstellungen über das „Ungeheuer vom Loch Ness“: das „The Official Loch Ness Exhibition Centre“ und das „Original Loch Ness Monster Centre“. Neben dem Gebäude der letzteren Schau befindet sich ein Teich mit einer künstlichen „Nessie“.
Am nordöstlichen Ende des Loch Ness befindet sich – etwa 3 Kilometer nördlich von Dores – die im 17. Jahrhundert errichtete Burg „Aldourie Castle“. Dort soll ein Gespenst namens „The Grey Lady“ („die Graue Lady“) sein Unwesen treiben.
Am Westufer des Loch Ness liegt – etwa 3 Kilometer südlich von Drumnadrochit – auf einem Felsen die rötliche Ruine von „Urquhart Castle“. Die Burg existiert seit der Regentschaft von William the Lion von 1165 bis 1214. Während ihrer wechselvollen Geschichte fiel sie mal an Schottland, mal an England. 1691 wurde die Burg gesprengt, ab 1708 benutzte man sie als Steinbruch.
Die etwa 9300 Einwohner zählende Stadt Fort Augustus am Südende des Loch Ness liegt rings um das ehemalige Fort, das Anfang des 18. Jahrhunderts von den Engländern errichtet wurde. In den 1870-er Jahren errichteten Benediktinermönche in dem früheren Fort ein Kloster. Ende 1998 zogen die Mönche wieder aus, heute werden die Gebäude als Museum genutzt.
Unheimliche Wesen sind von jeher in schottischen Seen etwas ganz Normales. Seit Alters her werden Kinder in Schottland vor Wassergeistern („Kelpies“) gewarnt, die in der Gestalt von Pferden („Water Horse“ der „Each Uisge“) im Schilf lauern und auf Menschen warten, die sich zu nahe ans Ufer wagen. Dann packen die „Kelpies“ ihre Opfer, zerren sie ins Wasser, ertränken und fressen sie, heißt es.
Diese alten Geschichten sowie unerklärlich scheinende Beobachtungen dürften wesentlich zur Entstehung des Mythos von „Nessie“ beigetragen haben. Das „Loch-Ness-Monster“ ist aber beileibe kein Einzelfall: In Großbritannien kursierten schon lange Erzählungen über im Wasser lebende mysteriöse Kreaturen wie Drachen oder Nixen (Seejungfern).
In Schottland wurden nicht nur im und am berühmten Loch Ness immer wieder Monster gesichtet. Auch in vielen anderen Seen sollen angeblich Ungeheuer hausen: unter anderem im Loch Oich, Loch Lochy, Loch Morar, Loch Lomond und Loch Shiel.
Loch Oich, der südliche Nachbarsee des Loch Ness, beherbergt angeblich das Monster „Wee Oichy“ mit pferde- oder hundeähnlichem Kopf, schlangenartigem Körper, zwei Höckern und schwarzer Haut. Im Loch Lochy wurde das Ungeheuer „Lizzy“ beobachtet. Im Loch Morar, südwestlich des Loch Ness, soll das Monster „Morag“ hausen. Als Heimat eines Untiers gilt auch Loch Lomond. Im Loch Shiel an der Westküste Schottlands hat man angeblich das Monster „Shielagh“ oder „Seilag“ gesichtet.

Keine Kommentare: